Historie

Die Entstehung der Nordsüd-S-Bahn

Seit dem Bau der Berliner Ringbahn bis 1877 und der in Ost-West-Richtung verlaufenden Stadtbahn bis 1882 keimte der Wunsch nach einer Nord-Süd-Verbindung auf, um die ebenfalls stark nachgefragten nördlichen und südlichen Vorortstrecken durch die Innenstadt hindurch zusammenzuführen. Wegen der dichten Bebauung kam dafür nur eine Tunnelstrecke in Frage, was jeglichen Betrieb mit Dampflokomotiven ausschloss.

Als die Reichsbahn 1930 ihr Mammutprogramm der Großen Elektrisierung der Berliner Stadt-, Ring- und Vorortbahnen vollendete – seither kurz und bündig als S-Bahn bezeichnet – begann sie umgehend mit Planungen, die bis dahin fehlende Nord-Süd-Verbindung zu schaffen. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten und ihrem Anspruch auf Beseitigung der Arbeitslosigkeit rückte der Bau der sogenannten Nordsüd-S-Bahn auf einen vorderen Platz in der Liste anzugehender Bauprojekte, welches – auch hinsichtlich der Olympischen Spiele 1936 – zügig in Angriff genommen wurde. Durch die größenwahnsinnigen Pläne Adolf Hitlers (und Albert Speers) für die Umgestaltung Berlins kam es ab 1937 allerdings zu erheblichen Änderungen des ursprünglichen Vorhabens; in Teilen ist die Strecke bis heute ein Torso geblieben. Ganz sicher ist: Der Bau dieser S-Bahnstrecke im 20. Jahrhundert war für Berlin ähnlich bedeutend wie die Anlage von Ring- und Stadtbahn.


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Der Nordabschnitt

Als erstes Teilstück wurde der Nordabschnitt errichtet. Dieser sollte den Vorortverkehr der Stettiner und der Nordbahn am Bahnhof Friedrichstraße mit der Stadtbahn verknüpfen und ihn weiter über den Bahnhof Unter den Linden nach dem Potsdamer Platz führen. Hierfür entstanden im Bereich der Zuläufe der nördlichen Vorortstrecken zunächst die beiden oberirdischen Stationen Bornholmer Straße und Humboldthain, um einerseits den Betriebsablauf zu verbessern und andererseits zusätzliche Stadträume zu erschließen.

Humboldthain

Ein erstes greifbares Ergebnis der Bauarbeiten war der Bahnhof Humboldthain, hier noch im Bau im Oktober 1934.

Foto: Landesarchiv Berlin

Bornholmer Straße

Die Straßenfront des Empfangsgebäudes mit dem typischen Turmaufbau zur Brücke gewandt im Oktober 1935.

Foto: Historische Sammlung der DB AG

Südlich des Bahnhofs Humboldthain taucht die Strecke in den knapp sechs Kilometer langen Tunnel ab und unterquerte zunächst Berlins verkehrsreichsten Kopfbahnof – den Stettiner Bahnhof, weithin auch als Ferienbahnhof bekannt. Der Stettiner S-Bahnhof (heute Nordbahnhof) wurde östlich des Vorort- und Fernbahnhofs angelegt. Weiter nimmt die Nordsüd-S-Bahn ihren Weg inmitten der Hinterhöfe zwischen Borsig- und Gartenstraße, dann unter der Artilleriestraße (heute Tucholskystraße) und dem S-Bahnhof Oranienburger Straße.

Der nun folgende Abschnitt bis zum Bahnhof Friedrichstraße verläuft in schwierigsten Berliner Bodenverhältnissen – mangelnde Tragfähigkeit durch Torf, Moor, Faulschlamm, Kolk, Schlamm im früheren Mündungsgebiet der Panke in die einst breitere Spree – und bedeutete eine große technische Herausforderung: Zunächst fällt die Nordsüd-S-Bahnstrecke in erhebliche Tiefe ab, um ab der Ebertsbrücke in engem Bogen die Spree zu unterfahren. Sodann steigt sie hinter der südlichen Ufermauer soweit empor, um unter der Weidendammer Brücke im Verlauf der Friedrichstraße den darunter liegenden U-Bahntunnel der BVG-Nordsüdbahn (Linie C, heute U 6) zu überqueren. Auf den folgenden knapp 100 Metern geht es wieder etwas in die Tiefe, um schließlich den bedeutenden Stadtbahnhof Friedrichstraße zu kreuzen.

Lageplan

Der Lageplan zeigt einen der anspruchsvollsten Bauabschnitte der Nordsüd-S-Bahn, der einer Berg- und Talbahn gleicht.

Plan: Sammlung Berliner S-Bahn-Museum

Der Lageplan zeigt von rechts nach links: Der tief liegenden Spreeunterfahrung in engem Bogen folgt ein steiler Rampenanstieg in der südlichen Ufermauer, um im Schnittpunkt mit Friedrichstraße und Weidendammer Brücke diese gleichzeitig zu unterqueren und die Nordsüdbahn (U-Bahnlinie C, heute U 6) zu überqueren. Anschließend fällt die Strecke ab, um den stark frequentierten Bahnhof Friedrichstraße zu unterfahren.

Lageplan

Schnittbild von der Unterfahrung des Bahnhofs Friedrichstraße.

Zeichnungen aus: Zentralblatt der Bauverwaltung 20/1938

Der Bahnhof Unter den Linden (heute Brandenburger Tor) wurde ab Dezember 1934 in gleicher Bauweise wie der Bahnhof Oranienburger Straße angelegt, allerdings befanden sich die Zugänge hier an den Bahnsteigenden. Auffällig sind die mit etwa 2,50 Metern Breite ungewöhnlich schmalen Treppenabgänge. Mehr glaubte man von den Bürgersteigen dieser Prachtstraße nicht wegnehmen zu können.

Unter den Linden

Der Boulevard Unter den Linden war eine Herausforderung. Für den Zugang von der Straße wurde das markante grüne S errichtet.

Foto: Sammlung Michael Braun

Insbesondere für diesen Nordsüd-S-Bahnhof schuf der Reichsbahnarchitekt Richard Brademann 1936 das runde Symbol als Teil einer städtebaulich ansprechenden und verkehrswerbenden Gestaltung von mitten im Straßenland befindlichen Zugängen. Für seine sehr zeitgemäße Lösung stellte er das nun runde S-Zeichen auf einen Pylon bzw. Pfeiler mit darunter plazierter Schriftplatte. Diese Form erinnert an eine Standarte bzw. an ein römisches Feldzeichen.

Unter den Linden

Sandmassen und eine Lorenbahn auf dem Mittelstreifen der Linden künden vom Beginn der Bauarbeiten dort (13. November 1935).

Foto: Historische Sammlung der DB AG/Max Krajewsky

Einsturz der Baugrube am Brandenburger Tor

Am südlichen Ende des Nordabschnitts in unmittelbarer Nähe zum Brandenburger Tor in der Herman-Göring-Straße (heute Ebertstraße) kam es im August 1935 zu einem der größten Unfälle des gesamten Bauvorhabens. Auch in diesem Bereich wurde der Tunnel nach der Berliner Bauweise in offenen, speziell abgestützten Baugruben errichtet. Die Berliner Bodenverhältnisse – in der Regel vom Wasser durchdrungener Feinsand – wurden mit einem speziellen Stützensystem aus Stahl und Holz berücksichtigt. Bedingung dafür war jedoch die peinliche Einhaltung der für die Standfestigkeit verantwortlichen Rammtiefe der Stützen.

Mitte Dezember 1934 hatte die Berlinische Baugesellschaft (BBG) mit den Rammarbeiten an der späteren Unglücksstelle begonnen, Anfang 1935 ragte die Baugrube schon einige Meter tief in den Erdboden.

Brandenburger Tor

Die Baugrube Brandenburger Tor. Im Hintergrund sieht man das Wahrzeichen der Stadt und das Reichstagsgebäude, das seit dem Brand in der Nacht zum 28. Februar 1933 leer stand.

Foto: Fritz Bettge/Sammlung Sigurd Hilkenbach

In Folge wiederholter Planungsänderungen musste die Baugrube tiefer ausgeschachtet werden, unerklärlicherweise wurde hierbei die Rammtiefe der Stützen jedoch nicht in gleichem Maße korrigiert. Am 20. August 1935 stürzte an der tiefsten Stelle – unmittelbar vor dem Gebäude der Amerikanischen Botschaft nahe dem Brandenburger Tor – die gesamte Baugrubenaussteifung auf einer Länge von 64 Metern in sich zusammen.

Unglück Baugrube

Straßenbahngleise und ein Kran liegen in der Baugrube (21. August 1935, 8.30 Uhr).

Foto: Archiv Degebo/Max Krajewsky

Zum Zeitpunkt des Unglücks waren wegen der laufenden Mittagspause lediglich die 23 Arbeiter der Zwischenschicht mit ihrem Schachtmeister an der Baustelle beschäftigt. Obwohl die Rettungskräfte schnell vor Ort waren, konnten nur vier der Arbeiter gerettet werden. 19 Menschen verloren bei dem Unfall ihr Leben.

Unglück Baugrube

Mit großem Pomp inszenierten die Nazis die Beisetzungsfeier im Lustgarten am 30. August 1935 (im Hintergrund der Berliner Dom) und nutzten so den Tod der 19 Bauarbeiter noch propagandistisch aus – von denen bis dahin erst 17 geborgen waren.

Foto: Landesarchiv Berlin

Trotz dieses tragischen Unfalls und der damit verbunden zeitlichen Verzögerungen ging das erste Teilstück zwischen Humboldthain und Unter den Linden – pünktlich zu den Olympischen Spielen – im Juli 1936 in Betrieb.

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